Düsseldorf Für Alexander Awakowicz ist dieser 23. Juli 2020 ein besonderer Tag. Gerade hat er das erste Mal mit einem Knie-OP-Roboter einen Patienten operiert. Alles hat genauso geklappt, wie er sich das vorgestellt hat. „Ich bin zufrieden“, sagt Awakowicz, der als Chefarzt für Orthopädie am Sankt Marien-Hospital Buer in Gelsenkirchen beschäftigt ist. Mit der OP-Robotik wird die Digitalisierung in der Medizin vorangetrieben. Bislang konnte der medizinische Mehrwert des Knie-OP-Roboters allerdings nur in Kurzzeitstudien nachgewiesen werden.
Der neue Roboter im Haus heißt Balance Bot und wird von der britischen Corin Group hergestellt. Awakowicz ist der erste, der ihn in Deutschland testet. Mit einem Kaufpreis von rund 350.000 Euro zählt er zu den Kleinwagen der OP-Robotik.
In der Orthopädie im Schloss Werneck bei Würzburg stehen zwei Robotik-Systeme, die jeweils eine Million Euro gekostet haben. Klinikdirektor Christian Hendrich war der erste in Deutschland, der kurz vor dem Weihnachtsfest 2013 einen OP-Roboter namens Mako der Firma Stryker kaufte. Von der Technik ist er restlos überzeugt: „Ich würde mich und meine Mama mithilfe des Roboterarms operieren lassen.“ Er hat gerade zwei weitere Robotiksysteme bestellt, sie werden im September geliefert.
Die Geschichte der Orthopädie-Robotik ist schon ein paar Jahrzehnte alt. Im Grunde geht es seit dem ersten orthopädischen Robotersystem Caspar um drei wesentliche Vorteile, die das neue System bringen soll: Dem Chirurgen soll die Arbeit erleichtert werden, die Behandlung des Patienten soll sich verbessern und der Umsatz des Hauses soll gesteigert werden.
Ersteres kann das Robotik-System leisten, die OP wird für den Chirurgen einfacher. Vor der Operation wird eine Computertomographie des Knies gemacht, um vorzuplanen. Bei der OP selbst wird die Hand des Chirurgen vom Roboter geführt. „Ohne Roboter wird drei Grad fehl gesägt, mit der Simulation beträgt die Genauigkeit ein halbes Grad“, sagt Hendrich.
Awakowicz ist bei seiner ersten Operation am echten Patienten ein weiterer großer Vorteil aufgefallen: Die Bandspannung wird gemessen. Bewegt sich das Bein nicht optimal, kann die Prothese angepasst werden. Nach der Operation klagen manche Patienten darüber, dass sie Schmerzen beim gehen haben, weil die Prothese nicht richtig sitzt. „Es gibt bei der Knieprothese 20 Prozent unzufriedene Patienten, nur aufgrund der Dysbalance des Gelenks. Studien haben gezeigt, dass wir mit dem Roboter diesen Wert auf fünf Prozent senken können“, sagt Awakowicz.
Keine Langzeitstudien zur Knie-OP-Robotik
Eine deutsche Studie zur Wirksamkeit der Knie-OP mithilfe von Robotiksystemen gibt es noch nicht. Dafür existieren verschiedene Arbeiten aus dem angelsächsischen Raum. Cesar Ituriaga und Hytham Salem aus dem Lenox Hill Hospital in New York haben die Studienlage im Juni zuletzt zusammengefasst. Ihr Fazit nach Auswertung von acht Publikationen: Es stimmt! Die Knie-OP-Robotik verbessert die Versorgung von Patienten. Die Prothesen sitzen genauer, die Patienten müssen kürzer auf Station bleiben und haben weniger Schmerzen.
Thorsten Gehrke, Ärztlicher Direktor an der Helios Endo-Klinik in Hamburg, einer der größten Kliniken für Endoprothetik in Deutschland, ist trotzdem skeptisch: „Ich bin keiner der Robotik im OP-Saal verteufelt, aber es ist zu früh, die Investition in OP-Robotik zu leisten.“
Dass es keine Langzeitstudien zum Thema gäbe, mache ihn skeptisch. Eine Erhebung aus Philadelphia hätte außerdem gezeigt, dass hundert Prozent der Autoren, die in diesem Bereich publizieren, mittelbar oder unmittelbar mit der Herstellerfirma kooperieren, zum Beispiel weil Beratertätigkeiten abgerechnet oder Implantate der gleichen Firma gekauft werden. Eine unabhängige Untersuchung zu Knie-OP-Robotik kennt er nicht.
„Wenn ich Innovation verhindern will, sage ich diese Sätze“, erwidert Hendrich vom Schloss Werneck auf Gehrkes Kritik. Wie sollte bei der jungen Technologie eine Langzeit-Erhebung möglich sein? Und, klar, kooperiere man mit dem Hersteller, denn der Roboterarm könne keine Prothesen eines anderen Anbieters auslesen.
Die Robotik im OP-Saal ist ein emotionales Thema für viele Mediziner, denn der Roboter kratzt in dem meist noch sehr hierarchisch organisierten OP-Saal an der Autorität des Chefchirurgen. Die Chefarztbehandlung ist eine gerne gebuchte Zusatzversicherung. Wird sie in Zukunft von der Robotik-Behandlung abgelöst?
Einen Punkt für sich verbuchten die Roboter-Gegner im vergangenen Jahr in der Nachbarwissenschaft, der Urologie. Hier wird bei Prostata-Operationen ein entfernter Onkel des Knie-OP-Roboters eingesetzt, der Da Vinci Roboter. In über hundert Häusern in Deutschland hat man sich schon den rund zwei Millionen teuren Da Vinci Roboter angeschafft, während es nur an vierzehn Häusern einen Knie-OP-Roboter gibt.
„Roboter sind auch ein Marketing-Werkzeug“
Weil Da Vinci schon seit dem Jahr 2000 auf dem Markt ist, gibt es hier bereits Langzeitstudien zur Wirksamkeit. Eine wichtige aus dem Jahr 2019 kommt von der Martini Klinik Hamburg, weltweit werden hier die meisten Patienten mit Prostatakrebs behandelt. Die Ergebnisse der Studie zeigen: Mit der Roboter-OP geht es Patienten auf lange Sicht eben nicht besser, sondern genauso gut wie herkömmlich operierten Patienten. Wer sich an der Martini Klinik trotzdem mit dem Da Vinci Roboter operieren lassen möchte, muss deshalb 2000 Euro aus privater Tasche zuzahlen. Bei der OP mit dem Knie-Roboter entstehen für Patienten keine Zusatzkosten.
„Patienten denken bei OP-Robotern an eine höhere Präzision und haben die Hoffnung des besseren Outcomes. Deshalb sind Roboter auch ein Marketing-Werkzeug, das darf man nicht vergessen“, sagt Thom Rasche, Medizintechnikexperte und Managing Partner beim Venture-Capital-Investor Earlybird Health. Einem auf Endoprothetik spezialisierten Haus würde er die Anschaffung eines Knie-OP-Roboters empfehlen, um sich am Markt gegenüber der Konkurrenz zu positionieren. Ob sich die Investition in einem kleinen Haus lohnt, bezweifelt er.
Das Sankt Marien-Hospital Buer in Gelsenkirchen ist ein solches kleines Haus. Trotzdem glaubt Awakowicz, dass die Anschaffung des Roboters richtig war. „Wir sind hier eine Klinik mitten im Ruhrgebiet und haben große Konkurrenz. Wenn ich es mit dem Roboter schaffe, Patienten zu überzeugen, zu uns zu kommen, dann wird sich die Investition lohnen.“
Die Chancen, dass diese Strategie aufgeht, stehen gut: Eine repräsentative Forsa-Umfrage bei 1000 Bürgern der Managementberatung Porsche Consulting aus dem Jahr 2017 zeigt: Drei von vier Deutschen haben nichts dagegen, dass ein Roboter das Skalpell führt. Und obwohl die OP mit dem Da Vinci Roboter an der Martini-Klinik Geld kostet, werden jedes Jahr mehr Patienten mit Da Vinci operiert.
Dieser Beitrag ist ein Auszug aus dem exklusiven Fachbriefing Handelsblatt Inside Digital Health. Zweimal in der Woche analysieren wir dort die neuesten Entwicklungen im Bereich digitale Gesundheit.
Mehr: Innovation aus der Schweiz: Ein Start-up will mit einem Laser-Roboter die Chirurgie revolutionieren.
July 29, 2020 at 09:00AM
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Medizintechnik: Wenn die Maschine das Skalpell führt – was Knie-OP-Roboter wirklich bringen - Handelsblatt
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