Künstliche Intelligenz soll bald Ausstellungen gestalten. Wegweisende Impulse kommen aus Wien
Jetzt sind also auch die Kunstkuratoren dran.
Wann immer von Künstlicher Intelligenz oder kurz AI (für „Artificial Intelligence“) die Rede ist, verbreitet sich zunächst die Angstwelle, dass Menschen obsolet werden könnten. Als die Verantwortlichen der Bukarest Biennale ankündigten, dass die nächste Ausgabe des Kunst-Events 2022 von einem AI-Mechanismus gestaltet werden würde, war das nicht anders:
Denn die Kunstwelt sah Kuratoren zuletzt oft als eine Art Priesterkaste, die über den Wert der Kunst und Gedeih und Verderb von Künstlerkarrieren zu entscheiden hatte. Wer eine Robotisierung dieses Berufsfelds in den Raum stellt, rüttelt an den Säulen des Systems.
„Es ist tatsächlich beides, eine Kritik und ein technisches Unterfangen“, erklärt Răzvan Ion. Der Kurator und Mitbegründer der Bukarest-Biennale arbeitet mit seiner Firma „Spinnwerk“ im 7. Wiener Bezirk an „Jarvis“, dem künstlichen Kunstkurator, der am 29. Oktober erstmals in Wien präsentiert werden soll. „Für mich ist Jarvis ein Schritt zu mehr Demokratie in der Kunstwelt“, sagt Ion. „Ich weiß, wie Kuratoren beeinflusst werden, um bestimmte Künstlerinnen und Künstler in eine Ausstellung zu nehmen. Mit Jarvis kann das nicht passieren, er ist nicht emotional.“
Noch ist der AI-Kurator in einer Wolke der Ankündigungsrhetorik verpackt – seine Funktionsweise ist aber schnell umrissen: Die Software soll eigenständig konzeptuelle Texte erstellen und auf deren Basis Künstler und Werke auswählen. Zu diesem Zweck durchkämmt sie Datenbanken von Galerien, Museen und Institutionen, mithilfe sogenannter „Deep Learning“-Algorithmen wird die Fähigkeit, Strukturen zu erkennen und eigenständig zu generieren, verfeinert.
Die „Ausstellung“, sagt Ion, solle zunächst vorrangig in einem ebenfalls von Spinnwerk entwickelten Virtual-Reality-Umfeld stattfinden, doch auch die Umsetzung in einem Realraum ist denkbar.
Durchdrungen von Daten
Für Laien klingt einiges davon noch nach Science-Fiction. Tatsächlich aber ist die digitale Durchdringung auch in der Kunstwelt weit gediehen. Künstliche Intelligenz ist als Werkzeug, mit der schieren Informationsmasse umzugehen, längst Realität.
Auch historische Museen erkennen das: So entwickelte ein Team an der Londoner Tate 2016 die Software „Recognition“, die eigenständig Ähnlichkeiten zwischen Werken der Museumssammlung und Nachrichtenfotos der Agentur Reuters erkannte. Das New Yorker Metropolitan Museum brachte zusammen mit dem Künstler Matthew Ritchie und Technikern des Massachusetts Institute of Technology (MIT) 2019 das Projekt „Generic Maps“ auf den Weg. Es generiert auf Basis von Sammlungsobjekten neue, imaginäre Kunstwerke: Mit dem Wissen über Form, Material, Herkunft und Stilgeschichte einer mesopotamischen Vase kann das Programm etwa darstellen, wie vergleichbare Objekte aus derselben Epoche ausgesehen haben könnten. „Dust and Data“, ein Forschungsprojekt der Wiener Akademie der bildenden Künste, befasst sich ebenfalls mit neuen Pfaden, die AI durch museale Sammlungen bahnen kann. Grundlage bilden u. a. Bestände des Belvedere und des Volkskundemuseums.
„Wir sind bereits in einem maschinenkuratierten Zeitalter“, sagt der Wiener Medienkünstler Hans Bernhard. „Der Adressat von Kunst ist heute sehr oft eine Maschine. Ob nun die Google-Suche oder Social Media – Kunst wird so produziert, dass sie von Maschinen lesbar ist und in Maschinensystemen fortbestehen kann.“
Mensch und Maschine
Dass Künstliche Intelligenzen in diesem Datenraum agieren, ist nur folgerichtig – die Frage ist, auf Basis welcher Mechanismen und welcher Datengrundlagen sie dies tun. „Dass das System immer vom Menschen kommt, ist ein implizites Problem“, sagt Bernhard.
Mit seiner Partnerin Liz Haas (Künstlername Lizvlx) bildet Bernhard das Duo UBERMORGEN. Mit weiteren Kollaborateuren erarbeiten sie ebenfalls ein Projekt zur Maschinenkuratierung. Für die coronabedingt verschobene Liverpool-Biennale geplant, soll es nun im Oktober online gehen.
Während der AI-Kurator Jarvis, den Răzvan Ion auch Wiener Institutionen für Ausstellungsprojekte zur Verfügung stellen möchte, eine eindeutige Auswahl trifft, wird die Idee bei UBERMORGEN noch weitergedreht: Theoretisch könne ein AI-Mechanismus nämlich nicht bloß ein Kunstfestival-Programm errechnen, sondern unzählige davon, erklärt Bernhard. „Die Maschine kann lernen, eine künstlerische Biografie oder ein kuratorisches Statement zu schreiben. Wir wollen eine quasi-unendliche Vielheit von möglichen Biennale-Varianten erzeugen, die auf bestehenden und nicht-bestehenden Künstlern und Konzepten aufbauen. Die Frage ist: Kann das System kuratorische Strategien entwickeln, die uns Menschen und auch Maschinen überrascht?“
August 15, 2020 at 10:00AM
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